Ich war genau auf den Tag sieben Jahre und neun Monate alt, am 6. Dezember damals. Diese Feststellung war deshalb für mich so wichtig, denn bei einer eventuellen "Entführung" durch den Nikolaus hätte ich wenigstens gewußt, wie alt ich war.

Das Wetter war scheußlich: Schneeregen und Wind. Die Stimmung drinnen in der Wohnstube war auch nicht sonderlich freundlich. Niemand sagte etwas. Der Papa las in der Zeitung, die Mama stand am Herd und kochte einen Kartoffelschmarrn und ich saß am Tisch und zupfte von Fichtenzapfen die Schuppen ab, die ich wie Schindeln auf das Kripperldach kleben wollte. Vor mir stand ein Becher mit Kakao Schon ziemlich lang. Ich hatte aber einfach keinen Appetit. Und nervös war ich auch. Immer musste ich an den Nikolaus denken. Dabei gingen mir auch alle Schandtaten vom vergangenen Jahr durch den Kopf. Die zwei Fensterscheiben, die ich eingeworfen hatte, der Frosch, den ich der Roslinde ins Kleid steckte, dass ich dem Gerti eine Glatze geschnitten hab und die Sache mit dem Ganter seiner Zugglocke, an dessen Zug ich eine Schnur angebunden hab und das andere Ende am Gartentürl vom Attenberger, so dass, wenn der das aufgemacht hat, es beim Ganter geläutet hat. Ja und weil ich halt der Mama und dem Papa so wenig geholfen hab.

"Wenn des alles d'Mutter dem Nikolaus heit sagt, dann schau i net guat aus!" dachte ich mir. "Eigentlich", sinierte ich weiter, "ist es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, wo i doch sowieso scho für alle Schandtaten Watschn kriagt hab."

Draußen wurde es immer finsteter und mir inwendig immer elender. Eine ganz kleine Hoffnung hatte ich zwar schon, dass der Nikolaus vielleicht doch nicht kommen würde, bei dem Haufen Kinder, die er zu besuchen hatte. Und ich Überlegte: "Der braucht ja bloß vorbeigehn bei uns, und gleich nüber zum Rudi, zum Sepp oder zum Schlosser Max. Dia warn alle no viel frecher als i!"

Gerade als ich am Kripperlstall eine Leiste annageln wollte, klingelt es. Gleichzeitig hörte ich ganz deutlich Kettengerassel. "Aus ischs! Jetzt geht's dahin mit mir!" Was hatte ich für eine Angst! Wie der Blitz sauste ich, mit dem Hammer in der Hand, unter den Tisch und zog fast gleichzeitig das Tischtuch weiter herunter.

"Ja, wer kommt den heit no so spät?" fragte die Mama scheinheilig. Und darauf der Papa, als wenn überhaupt nichts wäre: "Dr' Nikolaus weards halt sei. Laßn halt rei!"

Die Mama wischte sich die Hände am Schurz ab und ging hinaus. "Ja dr' Nikolaus!" hörte ich sie reden. "Und dr' Knecht Ruprecht is au dabei! Kommts nur rei!"

Angestrengt schaute ich durch den Schlitz zwischen Fußboden und Tischdecke und stellte fest: "Also der Nikolaus is drselbe wia letzts Jahr des gleiche Gwand, de gleiche Stimm! Aber der andere ujih schaut der wild aus!" Ich sah zwar nur die untere Hälfte, aber das war mir schon genug. Einen kohlschwarzen Pelzmantel hatte er an und "Ja, des isch guat, des sind ja Schlapper (Sandalen), bei dem Sauwetter! Und ja vareck! a solch Trumm Loch in Socka, dass glei d' ganze große Zehn rausschaut!"

Ich weiß es heute nicht mehr genau, aber ich glaube, ich habe damals ganz kurze Zeit geschmunzelt. Doch gleich darauf ging der Ruprecht auf den Tisch zu und sagte mit seinem tiegen Baß: "Wo isch er denn dr' Erich ha? Von dem hab i ja schlimme Sachn im Buach stehn!" Darauf erwiderte der Nikolaus mit noch tieferer Stimme: I moin allaweil, der hat sich unterm Tisch versteckt!"

"Vareck Kaffähaus jetz ischs aus!" ich schlotterte am ganzen Körper. Was dann kam, kann ich mir nur so erklären, dass für kurze Zeit mein Verstand aussetzte. Denn genau in dem Augenblick, als der Ruprecht so nah an den Tisch herankam, dass der Fuß mit dem zerrissenen Socken und dem großen Zehen beinahe vor meiner Nase war und der sagte: "Ja, dann moin i, schau i halt amol nach!" genau da zog ich aus und haute ihm mit voller Wucht den Hammer auf den Zehen.



"Auh Au, kruzitürken, Hundskrippl elendiger! Au, tuat des weh!" schrie und winselte er und hüpfte im Zimmer umher.

"Jetzt dr'schlagt der mi!" dacht ich und hielt mir mit den Händen die Augen zu, als könnte ich mich damit unsichtbar machen. Dabei dachte ich an den lieben Gott, an das Jesukindlein und an die heilige Maria. Trotz der fürchterlichen Angst fühlte ich doch mehr und mehr, dass ich irgendwie davon befreit wurde. Der Grund war nicht nur der, dass ich mit dem Hammerschlag den Ruprecht "unschädlich" gemacht hatte, sondern weil ich in der nun unverfälschten Stimme des Geschreis und Wehklagens einwandfrei die Stimme vom Moser Karl; der bei uns wohnte, erkannte. In der Aufregung konnte nun auch der Nikolaus seine Stimme nicht mehr verstellen, und so erkannte ich in ihm den Herrn Hagen, einen Nachbarn. Beide verschwanden beinahe genauso schnell, wie ich vorhin unter den Tisch gerutscht war.

Als ich hervorkroch und schüchtern nach dem Papa schaute, da sah ich, wie er sich den Bauch hielt und lachte, dass ihm die Tränen herunterkullerten. Und er - konnte nichts weiter sagen als: "Naa naa haut der dem Ruprecht sein Zehen zsamm!"

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